„Toxic Tour“ zum ThyssenKrupp Stahlwerk in der Baía de Sepetiba

ThyssenKrupp Brücke in der Baía de Sepetiba

Für touristische Attraktionen haben die Besucherinnen und Besucher großer UN Gipfel meist wenig Zeit. Umso schöner und wichtiger ist das Angebot der sog. „Toxic Tours„, deren Anliegen es ist, beispielhaft ökologisch und sozial katastrophale Großprojekte zu zeigen und Gespräche mit der betroffenen Bevölkerung zu ermöglichen.

Ich habe meinen Rio-Sonntag heute auf der Toxic Tour zum ThyssenKrupp Stahlwerk in Santa Cruz verbracht. Der Treffpunkt für die Abfahrt mit dem Bus war gut gewählt: Der Platz zwischen den Headquarters von Petrobras (Erdöl) und der brasilianischen Entwicklungsbank (die sowohl die Atomprojekte als auch Ölförderung im Land finanzieren).

Der Bus brachte uns dann an die Baía de Sepetiba, wo uns lokale Fischer auf ihren Booten mit auf’s Meer nehmen sollten, um die Auswirkungen des Stahlwerks auf das Meer und den Fischfang zu verstehen.

Da tauchte dann gleich ein erstes größeres Problem auf: Die bestellten Boote waren allesamt nicht da. Zum Glück konnten ziemlich kurzfristig andere Boote aufgetrieben werden. Aber später stellte sich heraus, dass die Fischer und die Organisatoren der Tour davon ausgehen, das das kein Zufall war: Alle Beschäftigten des Stahlwerks hatten kurz zuvor einen Brief bekommen, in dem unsere Besuchergruppe angekündigt wurde mit der Bitte, nicht mit uns zu sprechen und uns auch nicht zu provozieren…

Petrobras Zentrale

Die Klagen der Fischer sind folgende: Bereits in den 80er Jahren wurde des mehr durch eine Zinkfabrik mit Schmermetallen verschmutzt, die dann aber, als die Fabrik pleite ging, von Sand bedeckt und gut versiegelt am Meeresboden lagerten und Fischfang und die Wasserqualität nicht weiter beeinträchtigten. Als aber ThyssenKrupp mit dem Bau einer großen Landungsbrücke für den Hafen des Stahlwerks begann, änderte sich alles: die Schwermetalle wurden aufgewirbelt, verseuchten die Mangroven (Laichgebiete der Fische) und das Wasser, die Fangquoten reduzierten sich um 70 %. Außerdem können die einstmals über 8.000 Fischer nicht mehr überall fischen, weil ThyssenKrupp und die Brücke die Zufahrt verwehren, die die Marine kontrolliert. Heute gibt es noch ca. 2.000 Fischer und das Stahlunternehmen hat von den versprochenen 3.000 Stellen gerade mal knapp 1.000 bereitgestellt. Die Fischer und ihre Familien leiden unter Existenznot und gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch das Stahlwerk. Noch vor kurzem wurden sie zudem von Milizen bedroht, die mit der von ThyssenKrupp beauftragten privaten Sicherheitsfirma unter einen Decke stecken.

Als wir dann bei der besagten Landebrücke ankamen und bis auf ca. 10 Meter dranfuhren, wurden wir dann auch von den dort postierten Mitarbeitern freundlich, aber schweigsam ignoriert, argwöhnisch beobachtet und fleißig fotographiert. Wollen wir hoffen, dass diese Bilder den Eigentümern unserer Boote keine Schwierigkeiten machen!

Was ich von einer solchen Gifttour an Eindrücken und Lektionen mitnehme? Erstens: Der Kampf erscheint nahezu ausichtslos. Denn auch wenn ThyssenKurpp derzeit nur mit einer vorläufigen Lizenz operiert und mit diesem Projekt in den Miesen steckt, kann man sich kaum vorstellen, dass das Monstrum wieder eingestampft wird.

Fischerboot vor Stahlwerk

Zweitens: Brasilien scheint bereit zu sein, diese Region dem „industriellen Fortschitt“ zu opfern. Neben dem ThyssenKrupp Werk wird auch ein Hafen zu Verschiffung der Eisenerze von Vale gebaut. Und Petrobras will große Öltanks auf einer idyllischen Insel lagern. Die Giganten sind also mit staatlichem Wohlgefallen und in trautem Einklang unterwegs und machen dabei alles platt, was ihnen in den Weg kommt. Wer kann sie da noch aufhalten?

Drittens: Es lohnt sich zu kämpfen. Der Widerstand der Fischer und das Engagement der brasilianischen und deutschen Zivilgesellschaft hat für große Medienaufmerksamkeit in beiden Ländern geführt und den Betroffenen durch öffentliche Anhörungen überhaupt erst einmal den Raum eröffnet, um ihre Anliegen vorzutragen. Diese Erfahrungen können sie nun an diejenigen weitergeben, die von ähnlichen Entwicklungen bedroht sind. Das Stahlwerk ist einer der größten CO2-Schleudern des Landes und hat allein die Klimabilanz des Bundesstaates verdoppelt. Die Kohle für die Schmelzöfen kommt aus Kolumbien.

Verladung von Eisenerz

Und ach ja, bevor wir’s vergessen: Der Stahl wird in die USA und nach Europa transportiert. Das hier ist nicht nur ein Problem der Fischer in der Sepetiba Bucht, sondern eines von uns allen. Ich wünschte, ich könnte einige der Herren und Damen aus dem Rio Centro ebenfalls auf Toxic Tour schicken…

 


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