Zum neuen europäischen Aktionsplan für die Stahlindustrie

Zwar stellt sich die Stahlindustrie gerne als grün und zukunftsfähig dar, so richtig aktiv wird sie aber derzeit dort, wo es darum geht, progressive Klima- und Energiepolitik in Deutschland und in der EU zu verhindern (z.B. über die INSM). Doch die EU ist weltweit zweitgrößter Stahlproduzent und die Krise in der Branche deutlich spürbar. Die Europäische Kommission hat auf den Druck der Industrie nun mit einem Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa reagiert.

Ein Blick in den Text ist hier ganz aufschlussreich:

„In absehbarer Zukunft wird daher der Druck zur notwendigen Umstrukturierung und Verringerung von Produktionskapazitäten eine der wichtigsten Herausforderungen für diesen Wirtschaftszweig bleiben.“ Die Kommission sieht hier also Schrumpfung als große Aufgabe, nicht Wachstum!

Der Blick über den Atlantik macht klar, wo der Hase langläuft – jedenfalls wenn es nach der Industrie geht: „Die Wettbewerbsposition der US-Stahlindustrie hat sich mit Blick auf die Energiekosten durch die verstärkte inländische Schiefergasförderung verbessert, was einer der Hauptgründe dafür ist, dass neue Investitionen in den Stahlsektor fließen. Dies signalisiert möglicherweise eine Trendwende für den Sektor, und die USA könnten sich bald zum Nettoexportland für Stahl entwickeln und das Überangebot auf dem Weltmarkt noch erhöhen.“ Kein Wunder also, dass sich die deutsche Industrie (z.B. über BDI-Chef Grillo) für Schiefergasförderung bei uns zu Lande stark macht.

„Für eine tragfähige Entwicklung der Stahlindustrie spielen auch ein fairer Zugang zu primären und sekundären Rohstoffen sowie zum Rohstofftransport auf dem Seeweg unter wettbewerbsfähigen Marktbedingungen eine wesentliche Rolle.“ Eine der Kernfragen deutscher und europäischer Rohstoffpolitik: Für Stahlherstellung benötigt man Eisenerz, aber auch viel Energie zur Erhitzung (z.B. Koskohle – und nun erwägt die Kommission doch tatsächlich, Kokskohle demnächst in die Liste sog „kritischerRohstoffe“ aufzunehmen, die eigentlich nur kritische Metalle wie z.B. Seltene Erden umfasst…).

Bzgl. der Klimafolgen heißt es in dem Papier der Kommission: „Einer aktuellen Studie der Kommission zufolge würde die Einführung von besten verfügbaren Techniken bis 2022 unter Annahme strenger Investitionsbedingungen (kurze Amortisationszeiten) nur eine leichte Verringerung des gesamten direkten Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen bewirken.“ Und dann weiter: „Die erfolgreiche Demonstration fortschrittlicherer Technologien zur Verringerung von CO2-Emissionen, einschließlich industrieller CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), spielt eine wesentliche Rolle. Vor der Umsetzungsphase gilt es allerdings zunächst, Herausforderungen zu bewältigen, z. B. die hohen Kosten, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die mangelnde öffentliche Akzeptanz, wie bereits in der Mitteilung der Kommission zur Zukunft der CO2-Abscheidung und -Speicherung in Europa13 ausgeführt.“ ‚Herausforderungen‘ halte ich dem Kontext allerdings für höchst untertrieben…

Die Maßnahmen, die die EC angesichts der hohen Energiepreise vorschlägt (neben CCS):

„Die Entwicklung heimischer Energieressourcen auf kosteneffiziente Weise – seien es nun erneuerbare Energien, die Nutzung von Kohle in Verbindung mit CCS oder konventionelle und nicht konventionelle fossile Brennstoffe – kann sich mittel- bis langfristig ebenfalls positiv auf die Energiepreise auswirken.“ Also noch mehr Kohle und außerdem Schiefergas!

Auch wenn es im ganzen Papier vor allem um Freihandel und Wettbewerbfähigkeit geht, ist die Kommission „bereit“, über langfristige Lieferverträge zwischen Stromlieferern und Kunden nachzudenken und damit den Wettbewerb aufzuhebeln, wenn es der Planbarkeit von Energiekosten geht. Absehbar ist schon jetzt, dass sich solche Ausnahmen höchstens die Großkonzerne ergattern würden.

Und noch spezifischer zur Klimapolitik: Die Stahlindustrie bekommt bisher grundsätzlich alle Emissionsrechte gratis zugeteilt und auch in der dritten Phase des EU ETS (2013-2020) bekommt sie einen finanziellen Ausgleich. Im aktuellen Papier schlägt die Kommission doch nun tatsächlich vor, die Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionshandelszertifikaten in die Entwicklung Co2-armer Technologien in der Branche zu stecken – also eine Subventionierung der Industrie zur Einhaltung von gesetzlichen Regelungen, und das auch noch mit Geldern, die für nationale Energiewende und internationale Klimafinanzierung gedacht sind! Ach ja, und dann noch die Idee, „die Verarbeitung bestimmter geschmiedeter Eisenerzeugnisse in die Liste der Sektoren aufzunehmen, bei denen ein Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen in Bezug auf die direkten Kosten besteht“ (und aufgrund dessen dann der Industrie zahlreiche neue Ausnahmen erteilt werden dürfen).

Einige gute Ideen und Vorschläge enthält das Papier tatsächlich, was die Steigerung der Recyclingraten von Stahlprodukten enthält.

Zur Einordnung des Papiers ist es wohl vor allem wichtig zu verstehen, wie es entstanden ist und wie die Industrie es nun bewertet. Zum ersten kann ich nicht viel sagen, nur, dass das BMWi sich auf „intensivn Beratungen mit der europäischen Stahlindustrie, den Gewerkschaftsverbänden und den Mitgliedstaaten“ (man beachte die Reihenfolge!) beruft. zum Zweiten: Die Wirtschaftsvereinigung Stahl sieht das gemischt und beklagt vor allem, dass der Staat zu viel in den Wettbewerb interveniere – nur leider bezieht sich diese Aussage in diesem Kontext in keinster Weise auf die Interventionen der Kommission hinischtlich der zahlreichen Ausnahmeregelungen für die Stahlindustrie im Emissionshandel.

 


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