Es ist eine brisante Gradwanderung, die sich zwei Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature mit ihrem Artikel „Climate policy: Ditch the 2°C warming goal“ (deutscher Artikel dazu auf Spektrum, Artikel im Guardian) vornehmen.
David G. Victor und Charles F. Kennel schreiben:
Politically and scientifically, the 2 °C goal is wrong-headed. Politically, it has allowed some governments to pretend that they are taking serious action to mitigate global warming, when in reality they have achieved almost nothing. Scientifically, there are better ways to measure the stress that humans are placing on the climate system than the growth of average global surface temperature.
Ist es richtig, gut ein Jahr vor dem Pariser Klimagipfel die Abschaffung des 2° C „Zieles“ (ein Ziel war es ja nie, eher eine Begrenzung, undzwar eine maximale!) zu fordern? Oder ist es eine Steilvorlage für die Klimaskeptiker? Ich versuche es mal mit zwei Antworten:
Ja, es ist richtig und wichtig, denn die enge Fokussierung auf den globalen Temperaturanstieg verstellt den Blick für andere wesentliche Kipppunkte im Klimasystem (z.B. Erwärmung und Übersäuerung der Ozeane) und gibt damit ggf. falsche politische Signale. Zudem sind viele Irrwege und falsche Lösungsansätze (z.B. im Bereich Landwirtschaft: Stichwort Biosprit oder „Climate-Smart Agriculture„) auf die reine Konzentration auf Co2-Emissionsreduzierung und eine Blindheit für andere wichtige Planetarische Grenzen und soziale Faktoren zurückzuführen. Wer Planetarische Grenzen und Menschenrechte in die Blick nimmt, kommt gar nicht erst auf die Idee, die Klimakrise mit Geoengineering zu bekämpfen.
Nein, es ist falsch und politisch riskant, den mühsam errungenen 2°C-Konsens in Frage zu stellen und damit denjenigen in die Hände zu spielen, die vor dem Klimagipfel in Paris zum einen neuen Zweifel am wissenschaftlichen Konsens säen und zum anderen durch neue komplexe Aushandlungsprozesse Zeit schinden wollen.
Doch vielleicht gibt es auch eine dritte mögliche Antwort auf diese schwierigen Fragen: Unbedingtes Einfordern von Rechenschaft der Politik gegenüber dem Versprechen, die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen. Außerdem Einführung eines erweiterten Katalogs von Kriterien zum Monitoring des Zustands des Planeten sowie (und das ist ebenso wichtig) der Wechselwirkungen von vorgeschlagenen Lösungspfaden, um Irrwege zu verhindern. Aber der Prozess der Definition derselben darf und soll keine Einigung in Paris verzögern. Zivilgesellschaft und Wissenschaft jedenfalls sollten sich in den kommenden Monaten nicht durch eine Debatte um Entweder-Oder spalten lassen.