Erstaunlicherweise sind sie ihrem Zeitplan dann doch irgendwie fast treu geblieben, jedenfalls bisher: Zwar wurde das Closing Plenary der ADP Arbeitsgruppe gestern erst spät in der Nacht (also heute morgen) beendet. Aber ein Entwurf für das Pariser Klimaabkommen liegt nun vor und ist in die wichtigsten UN Sprachen übersetzt. Dazu gibt es einen von den beiden Ko-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zusammengestellten Anhang mit Anmerkungen und Ergänzungen, die sozusagen nach ‚Redaktionsschluss‘ eingegangen sind.
Zufrieden ist jetzt aber erstmal niemand. Denn in den 48+ Seiten Text stecken auch noch unzählige Widersprüche, Optionen, Stolpersteine und politische Konflikte, dass die Minister/innen und ihre Gehilfen, die diese verschiedenen Knoten nun lösen und Kompromisse aushandeln müssen, noch ordentlich ins Schwitzen geraten werden. Das dafür eingerichtete „Paris Committee“ trifft sich bereits ab heute (Sonntag) in vier Arbeitsgruppen unter der Leitung von je zwei Minister/innen bzw. Staatssekretär/innen (Deutschland, also Jochen Flasbarth, leitet beispielsweise gemeinsam mit Gabun eine Arbeitsgruppe zu Finanzen, Technologien und Capacity Building).
Bis Mittwoch soll alles stehen. Zumindest das Abkommen. Dann kann man sich noch über zusätzliche Entscheidungen der Conference of the Parties (COP 21) streiten und den Pariser Klimagipfel am 11. Dezember wie geplant erfolgreich beenden. Oder?
Hier sind einige der Fragen, die noch nicht geklärt sind (die Liste ist sehr lang!):
- Ist das Ziel des Abkommens, die globale Erwärmung auf 1,5°C oder 2°C zu begrenzen? Hierzu gab es die letzte Woche ein paar interessante Entwicklungen…
- Brauchen wir überhaupt ein gemeinsames langfristiges Ziel (collective long-term goal) und wenn ja, wie soll es lauten. Hier die Optionen aus dem Text:
[Parties [collectively][cooperatively] aim to reach the global temperature goal referred to in Article 2 through:(a) [A peaking of global greenhouse gas emissions as soon as possible[, recognizing that peaking requires deeper cuts of emissions of developed countries and will be longer for developing countries]](b) [Rapid reductions thereafter [in accordance with best available science] to at least a X [-Y] percent reduction in global [greenhouse gas emissions][CO2[e]] compared to 20XX levels by 2050]];(c) [Achieving zero global GHG emissions by 2060-2080](d) [A long-term low emissions transformation] [toward [climate neutrality][decarbonization] [over thecourse of this century] [as soon as possible aftermid-century];(e) [Equitable distribution of a global carbon budget based on historical responsibilities and [climate] justice]
Es sei dabei nochmal erinnert, dass das alles sehr sehr Unterschiedliches heißen kann!
- Wer soll wieviel tun (Emissionsreduktion, Finanzierung usw.) und wie vergleichbar, überprüfbar und verbindlich wird das im Abkommen festgehalten? Leider sind hier alle Elemente, die das ohnehin schon schwache Abkommen noch irgendwie rechtsverbindlich und „top down“ machen würden, entweder komplett aus dem Text verschwunden oder so eingeklammert, dass es derzeit nur schwer vorstellbar ist, dass sie bis Mittwoch im Text bleiben.
- Wie gelingt es, die Ambition in den kommenden Jahren noch anzuheben und sich da auch an aktuellen klimawissenschaftlichen Erkenntnissen und Notwendigkeiten zu orientieren?
- Welche Form der Unterstützung (Finanzierung, Technologie, Capacity Building) bekommen Entwicklungsländer und wie kann angesichts von Jahrzehnten gebrochener Versprechen hier irgendeine Form von Vertrauen hergestellt werden?
- Was wird aus den Marktmechanismen des Kioto-Regimes, beispielsweise dem Clean Development Mechanism? Geht der in einem neuen Sustainable Development Mechanism aus? Welche Rolle spielen nicht-marktbasierte Mechanismen in Zukunft? Das sind Fragen, die vermutlich nicht hier in Paris geklärt werden, sondern im kommenden Jahr auf der Tagesordnung stehen werden.
- Ist Loss and Damage (Klimawandelschaden und -verluste) ein eigenständiger Punkt im Abkommen oder Unterpunkt von Anpassung? Soll es eine neue Institution / Prozess geben, der sich mit dem Thema Vertreibung / Flucht und Klimawandel befasst? Wird ein Prozess aufgelegt, um alternative und innovative Finanzierungsquellen für dieses Thema zu identifizieren?
- Und schließlich: Wird das Pariser Ergebnis ein lebendiges internationales Rahmenwerk geben, um die Umsetzung und Steigerung der nationalen Klimastrategien (INDCs -> bald dann evtl. „NDCs“ oder „NDMCs“) voranzutreiben? Sind diese dann lediglich auf Minderungsmaßnahmen fokussiert oder beinhalten sie auch Finanzierungsverpflichtungen für reiche Länder sowie Anpassungsmaßnahmen?
Das alles sind große und grundlegende Fragen – um einige davon wird bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf der internationalen Klimadiplomatiebühne gerungen. Auch das bestmöglichste denkbare Ergebnis für die COP 21 wird die Klimakrise nicht stoppen oder in den Griff bekommen können – was jetzt auf dem Tisch liegt geht nicht nur an 1,5°C, sondern auch an 2°C komplett vorbei. Die Handlungsmöglichkeiten für jede einzelne der großen Fragen sind zudem innerhalb der Gegebenheiten des UNFCCC Prozesses teilweise nur mit Lupe zu unterscheiden und gehen fast immer an den strukturellen Ursachen der Krise vorbei.
Und doch macht es am Ende einen Unterschied für die Arbeit auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, ob uns Paris einen Rahmen gibt, den wir nutzen können, um unserer Regierungen und Entscheidungsträger/innen zur Verantwortung zu ziehen und in den kommenden Jahren (also auch ganz klar: vor 2020) zu mehr Handeln zu drängen, oder ob es ein Käfig wird, in dem sie sich einmauern, der ihnen Sicherheit gibt, das Beste versucht zu haben und sich nun zufrieden zurücklehnen zu können. Das darf auf keinen Fall passieren! Dagegen lohnt es sich, in der kommenden Woche zu kämpfen: im Konferenzzentrum von Le Bourget, in der Climate Action Zone und auf den Straßen von Paris.