Als „Point of no return“ wird ein Punkt ohne Wiederkehr bezeichnet. Bezeichnend also dieser Titel für die neueste Greenpeace-Studie. Darin identifiziert die Umweltorganisation 14 Mega-Projekte (Karte s.u.), deren Durchführung definitiv zu einem katastrophalen Klimawandel von bis zu 6 Grad Erwärmung führen würden. 14 Aufgaben für uns Klimabewegte!
Diese 14 Projekte würden bis zum Jahr 2050 zu 300 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalenten führen. Allein 20% der CO2-Emissionen im Jahr 2020 würden von diesen Projekten kommen. Es handelt sich dabei um die Förderung von rund 50 Mrd. Tonnen Kohle, 30.000 Mrd. Kubikmeter Erdgas und 260 Mrd. Barrel Öl.
Derzeit befindet sich die Erde laut Weltbank-Schätzungen auf dem Weg hin zu 3,6 bis 4 Grad Erwärmung. Sollten diese 14 Projekte realisiert werden, wäre dein Pfad auf bis zu 6 Grad wahrscheinlich. Zugleich würde die statistische Chance, unter 2 Grad zu bleiben, auf den Promillebereich sinken. Derzeit geht die Wissenschaft davon aus, dass die globalen Emissionen bis zum Jahr 2015 ihren Höhepunkt erreicht haben müssen („peak“) um dann mit jährlich 5% sinken. Ohnehin ist das unrealistisch – mit den 14 Projekten wäre das ausgeschlossen. Der Kampf gegen diese Kimakiller ist daher ein Kampf um das Überleben des Planeten wie wir ihn kennen.
»A handful of governments and a small number of companies in the fossil fuel industry are pushing these projects, apparemtly without a care about the climate consequences.« (Original Greenpeace-Report)
Hier eine Übersicht über die von Greenpeace identifizierten Projekte und wie wir sie vielleicht stoppen können müssen.
Neue Kohlequellen in Chinas Nordwesten (1.400.000.000 t CO2 pro Jahr in in 2020)
Bis 2015 sollen in den fünf nord-westlichen Provinzen Chinas 620 Mio. t Kohle erschlossen werden. Die Industrialisierung einer der strukturschwächsten Regionen des Landes ist eines der großen Projekte der Kommunistischen Partei. Damit China aber nicht auf diesem fossilen Pfad weiter geht – allein dieses Projekt würde fast so viele Emissionen produzieren wie ganz Russland – muss etwas Ausserordentliches passieren. Es wird wohl ein Green Growth Boom in China nötig sein, gepaart mit politischen Problemen in der Region (ich bin kein Experte für die Konflikte und Politik Chinas!), dass es eine Verzögerung geben könnte. Die CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) wird von vielen Expert*innen als Lösung gesehen, aber das würde ich vorsichtig bezweifeln. Erstens geht es um riesige Mengen CO2 die über Jahrzehnte gespeichert werden müssen. Zweiten geriert die Hoffnung auf CCS noch eher Kohle und die falsche, fossile Richtung wird weiter begangen. China braucht vielleicht einen von der KP oktroyierten Erneuerbaren-Boom. Alles andere wäre unser Verderben.
Kohlexporte aus Australien (720.000.000 t CO2)
Trotz der Zuwendung zum funktionsarmen Kyoto Protokoll setzt Australien derzeit voll auf Kohle. Bis 2025 werden so dreimal so mehr CO2-Emissionen exportiert als Australien selber emittiert – und das trotz den höchsten Pro-Kopf Emissionen aller großer Industriestaaten! Seit einigen Jahren regt sich Widerstand. Jedes Jahr besetzen Aktivist*innen den Hafen von Newcastle an der australischen Ostküste. Dort befindet sich der weltgrößte Kohlehafen der Welt. Er soll erweitert werden. Dass hat bereits jetzt Auswirkungen auf das berühmte Great Barrier Reef. Denn sehr viele Kohleschiffe durchkreuzen diese Gegend, rammen Riffe oder haben Havarien. Der Schiffsverkehr wird stark zunehmen, weshalb neben einer Stärkung des Widerstandes in Newcastle auch ein ernsthafter Schutz des weltbekanntesten Korallenbiotopes das Klima schützen würde. Zudem investiert die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im australischen Bergbausektor. Auch die Grünen in Australien – entscheidend für die Mehrheit der aktuellen Regierung von Julia Gillard – müssen sich diesen nationalen Projekt entgegen stellen.
Ölquellen in der Arktis (520.000.000 t CO2)
Der Klimawandel – hervorgerufen durch die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Öl – sorgt für eine katastrophale Eisschmelze in der Arktis. Wer schon mal Satellitenbilder von 1970 und 2010 gesehen hat, wird diese nicht vergessen – immer weniger Eis bedeckt unsere nördliche Erdkappe. Dies bringt die fossile Industrie nun aber dazu, auch dort nach Öl zu suchen und Staaten wie Kanada, Russland, die USA oder die skandinavischen Staaten streiten sich um „claims“. Doch auch wenn mensch es nicht glaubt, da oben gibt es ein hoch sensibles und ohnehin gefährdetes Ökosystem. Zudem ist es technisch nach wie vor sehr fraglich, wie die Ölexploration umgesetzt werden soll. Wenn wirklich bald acht Mio. Barrel Öl pro Tag dort gefördert werden sollen, wird es sehr wahrscheinlich bald „Arctic Deepwater Horizon“ geben. Nur, dass dort nicht wie im Golf von Mexico relativ schnell Hilfe für Natur und betroffene Menschen kommen kann und wird. Es bedarf eines UN-Moratoriums, welche Gegenden wie die Arktis vor Rohstoffsuchen und -förderungen prinzipiell schützt. Andernfalls müssen die auslaufenden Förderschiffe mit Hafenblockaden o.ä. gestoppt werden. Wie viele Rainbow Warriors braucht es wohl, um die Arktis zu schützen?
Kohleexporte aus Indonesien (460.000.000 t CO2)
Lokale Bevölkerungen, tropische Regenwälder – das alles wird demnächst noch weiter bedroht werden, wenn Indonesien seine Pläne für die Förderung von Kohle auf der Insel Kalimantan umsetzen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Projekt wie Yasuní-ITT hier (viel größer) noch einmal aufgezogen werden kann. Zu teuer wäre es, Indonesien für die ausbleibende Förderung finanziell zu belohnen. Es braucht wohl negative Druckmittel, z.B. über die Entwicklungszusammenarbeit, um Druck aufzubauen. Viel besser wäre aber eine gemeinsame Initiative zur Förderung Erneuerbarer im ländlichen Raum um den Menschen vor Ort wirklich zu helfen. Die Zivilgesellschaft muss vor Ort stark gegen die in- und ausländischen Bergbauriesen aktiv sein und es zu einer Sache nationalen Stolzes machen, dass Indonesien seine Naturschätze nicht so einfach zum Spottpreis auf dem Weltmarkt verramscht.
Kohleexporte aus den USA (420.000.000 t CO2)
Durch die Schiefergasförderung in den USA sinkt deren Bedarf nach Kohle. Das lässt nicht nur den Preis weltweit sinken, sondern führt auch dazu, dass die USA zum Kohleexporteur werden. Allein das wird in 2020 zu so viel Emissionen führen, wie 2010 von Industriegigant Brasilien ausgestoßen wurde. Der Export wird v.a. über die Häfen im Nordwesten abgewickelt. Dort liegt unsere Hoffnung! Die Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington sind traditionell demokratisch. Eine Hafenblockade hat vor zwei Jahren im kohlekritischen Portland zu einem massiven Streik geführt. Wenn die Umweltbewegung dort aktiv ist, können die Züge der Kohleindustrie gestoppt werden. Mittelfristig darf sich der Export aber wirtschaftlich nicht mehr lohnen, damit die USA aufhören. Das kann nur passieren, wenn für die Abnehmer (z.B. China) die Kosten der Kohleverbrennung zu hoch sind. Bis dahin brauchen wir den Generalstreik in den USA!
Ölsande in Kanada (420.000.000 t CO2)
Die Gewinnung von Öl aus Teersanden in Kanadas Provinz Alberta bedeutet nicht nur weiteren Druck auf ohnehin marginalisierte Gruppen wie die Cree oder Landschaften wie den „Great Bear Rainforest“, sondern auch CO2-Emissionen so hoch wie die Saudi-Arabiens. Bis 2035 soll die Anzahl der geförderten Barrels Öl sich sogar auf 4,5 Mio. verdreifachen im Vergleich zu heute. Allerdings ist Kanada auf den Export dieses Energieträgers angewiesen, damit es sich rechnet. Die dafür elementar wichtige Keystone XL Pipeline – quer durch die USA – zu den texanischen Ölexporthäfen steht in Washington und vor Ort derzeit noch in Frage. Auch wenn der letzte kritische Gouverneur jetzt anscheinend vor der Öl-Lobby eingeknickt ist – die Pipeline kann noch verhindert werden, wenn Bill McKibben und seine Umweltbewegung weiter Druck auf Obama machen. Zudem muss in der EU die sogenannte „Fuel Quality Directive“ mit harten Auflagen erlassen werden. Dann nämlich ist es möglich, das im Vergleich zu herkömmlichen Rohöl (noch) schmutzigere Teersandöl vom europäischen Markt zu verbannen – zum Leidwesen der kanadischen Ölindustrie.
Öl aus dem Irak (420.000.000 t CO2)
Die Internationale Energieagentur widmete ihren berühmten World Energy Outlook 2012 schwerpunktmäßig den Erdölschätzen des Iraks. Welch bessere Werbung für Investoren hätte es geben können? Frei nach dem Motte: „Seht her, es ist (fast) Frieden. Investiert jetzt schnell!“ Und genau da liegt vielleicht auch das Problem. Nachdem es einen Krieg ums Öl gab, wollen die Siegermächte nun auch ernten. Und da ich mir für die Menschen im Irak sehnlich wünsche, dass es in Zukunft wieder friedlicher wird, halte ich es für nahezu unmöglich, diese Exploration zu vermeiden. Der Irak braucht viel Geld für den Aufbau. Idealistisch gesehen wäre wohl ein Green New Deal für das Land mit einem Schwerpunkt auf PV der richtige Weg. Pragmatisch fällt mir aber auch hier keine Alternative ein, außer der Fingerzeig an diejenigen, die dort investieren: unsere westlichen Konzerne.
Ölförderung im Golf von Mexico (350.000.000 t CO2)
Trotz dem Deepwater Horizon Desaster sollen weitere riskante Tiefseequellen für Amerikas Ölhunger eröffnet werden. Da das Mitgefühl für die Opfer des globalen Klimawandels gerade in der Region noch größeres Ausbaupotenzial hat, braucht es eine auf die lokal Geschädigten zugeschnittene Kampagne. Eine Shrimpfischer-Rebellion könnte zumindest für Verzögerungen und höhere Umweltauflagen sorgen. Wenn dann noch ein texanisches Offshore-Wunder kommen würde, – Windenergie ist in diesem Bundesstaat gerade generell eine neue profitable Alternative für viele Cowboys – dann wäre dieser Schlamassel evtl. doch noch zu stoppen.
Ölförderung vor der brasilianischen Küste (330.000.000 t CO2)
Auch vor der Küste des grünen Riesens schlummern riesige Ölreserven in großen Tiefen. Präsidentin Dilma Rousseff freut sich bereits über hohe Staatseinnahmen. Doch die Folgen für Natur und Klima würden sich auch direkt auf Brasilien auswirken. Die beliebten Strände der Ostküste könnten verseucht werden, wenn Tanker verunglücken. Der ungebremste Klimawandel ist gerade für die Amazonasregion einer der Hauptgegner – neben dem „staatlich geförderten“ Kahlschlag durch die Holzindustrie. Die Umweltbewegung in Brasilien wurde zuletzt stark eingehegt bzw. kleingemacht. Hier wie dort muss weiter viel Arbeit gemacht werden, um auf Politik, Banken und Konzerne (u.a. Total und Statoil) Druck zu machen. Deutschland kann hier – wie auch in vielen anderen Fällen – durch seine „Hermes-Außenpolitik“ auch etwas bewirken.
Ölförderung in Kasachstan (290.000.000 t CO2)
Bis 2025 sollen 2,5 Mio. Barrel Öl pro Tag im weltweit zweitgrößten Ölfeld im Kaspischen Meer gefördert und nach Europa und China transportiert werden. Es wird schwer, hier gegen zu steuern. Denn eine verringerte Nachfrage auf der einen Seite wird den Preis für die andere senken und somit deren Nachfrage erhöhen. Es bleibt zu hoffen, dass sich lokale Widerstände gegen die Pipeline regen oder zumindest diese ins Visier nehmen. Das könnte den Ölexport etwas verlangsamen, bis gerade in China ein eigene Energiewende eingeläutet wird und/oder der Weltmarkt doch noch vernünftige Signale sendet.
Schiefergase in den USA (280.000.000 t CO2)
Gas generell als Brückentechnologie zu betrachten, macht in unserem deutschen Zusammenhang Sinn. In den USA wird Gas aber durch sog. „Fracking“ gefördert, was die Natur (v.a. das Grundwasser) belastet – obwohl es die Klimabilanz der USA verbesserte! Außerdem hat Schiefergas immer noch eine schlechtere Klimabilanz als unser russisches Erdgas und die verstärkte Nutzung von Gas in Amerika hat den Kohlepreis nach unten gedrückt – was den weltweiten Kohleboom noch verstärkte. Die Emissionen wurden also exportiert. Gegen das „fracken“ – demnächst vielleicht sogar in Deutschland – sollten wir mit lokalem Widerstand vorgehen. Auch hohe Umweltauflagen können besonders schädliches fracken unterbinden. Ökonomisch rechnet es sich auch weniger gut, als viele denken. Denn die Reserven sind ziemlich klein im Vergleich zu herkömmlichen Erdgasvorräten; werden aber dennoch von der Lobby als große Hoffnung dargestellt. Rechnen wird es sich m.E. dennoch, weil viele Staaten in Zukunft auf flexible Gaskraftwerke zum Ausgleich der fluktuierenden Erneuerbaren setzen erden.
Erdgas aus Afrika (260.000.000 t CO2)
Es ist mir völlig unverständlich, wie Greenpeace hier – einzig – einen ganzen Kontinent anstatt von Staaten darstellt. Auf die über 50 afrikanischen Staaten aufgeteilt würde sich ein anderes Bild ergeben. Eines, in dem nicht „Erdgas aus Afrika“ als Problem gesehen wird (während sich bei Greenpeace übrigens in Europa kein solches „Problem“ befindet). Natürlich macht dies die Tatsache, dass in Afrika fossile Energien ebenfalls auf dem Vormarsch sind nicht besser. Doch das Problem in vielen afrikansichen Ländern ist, dass Öl, Kohle und Gas dort von v.a. westlichen Konzernen zum Wohle von Hauptstädten und Export gefördert werden. Hier müssen wir im Globalen Norden unsere Konzerne (z.B. die italienische ENI) an die kurze Leine nehmen und solidarisch mit denen sein, die in afrikanischen Gesellschaften für eine gerechtere Verteilung von Wohlstand und Produktionsmitteln kämpfen. Über die Ein- und Auswirkungen unseres Lebensstils auf die Menschen im Globalen Süden und ganz besonders in Afrika gehe ich jetzt hier nicht weiter ein.
Erdgas aus dem Kaspischen Meer (240.000.000 t CO2)
Einige Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres, v.a. Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan, fördern dort Erdgas und wollen dies in Zukunft verstärkt tun. Auch der Iran ist an dieser Quelle dran und rechnet mit sprudelnden Einnahmen. Es wird eine große Herausforderung, in dieser traditionell vernachlässigten Region der Welt wirtschaftliche Alternativen anzubieten. Denn die politischen Systeme werden es schwer machen, durch Aktionen von Umweltorganisationen o.ä. einen Wandel herbei zu führen. Am Ende sind es aber Joint Ventures mit westlichen Firmen wie der norwegischen Statoil, welche die Förderung erst möglich machen. Hier bei uns muss der Druck auf die Konzerne so stark werden, dass diese nicht mehr fossile Energien z.B. im Kaspischen Meer fördern.
Ölsande in Venezuela (190.000.000 t CO2)
Am Orinoco lagert – wie in Kanada – schweres und schmutziges Teersandöl. Und so will die Regierung um Chávez ihren Pseudo-Sozialismus durch zusätzliche Naturzerstörung befördern. Wie im Falle Kanadas haben hier die möglichen Abnehmerstaaten durch ihre Umweltgesetzgebung indirekten Einfluss. Und dieser muss genutzt werden.
Zusammenfassend kann ich sagen: Es sieht nicht gut aus für unsere Welt. Wir brauchen einen Systemwechsel hier bei uns in puncto Lebensstil und Unternehmensführung, Weltmärkte die endlich die wahren Kosten für die Energiegewinnung zeigen, Staaten die sich trauen, einen „Green New Deal“ anzugehen und zudem global ganz viel aktive Zivilgesellschaft mit einer Prise grenzüberschreitendem Aktivismus.
Auf geht’s!